Dr Philipp Boersch‑Supan

Quantitative Ecologist

Sortieren, Messen, Wiegen

39°36' S 45°15'E
Nach einer knappen Woche in antarktischen Wassermassen sind wir nun wieder auf dem Weg nach Norden, waermeren Gefilden und unserer letzten Station auf dem SWIOR entgegen. Diesen letzten Seamount erreichen wir vorraussichtlich morgen Nachmittag. Mitte naechster Woche geht es dann zur letzten Station, einem grossen unterseeischen Plateau suedlich von Madagaskar. Die letzte Woche war einmal mehr sehr intensiv und anstrengend. Nach der Kontrollstation im kalten Wasser (das Oberflaechenwasser hatte nurmehr 7°C) mussten wir wegen einer Schlechtwetterwarnung saemtliche Fischerreiaktivitaeten an unserem suedlichsten Seamount in einen Zeitraum von etwa 20 Stunden quetschen, Fische sortieren bis zur Erschoepfung.


Und weil ich bisher immer nur erzaehlt habe, dass wir viel und oft fischen, und dass das anstrengend ist, diesmal ein paar mehr Details, was eigentlich genau passiert, wenn so ein Schleppnetz an Bord kommt. Wie schon zu Anfang der Expedition berichtet, setzen wir einen mittelgrossen Åkra-Trawl ein, und fischen damit in Wassertiefen von etwa 1000m bis etwa 50m unter die Wasseroberflaeche. Nachdem das Netz auf die angepeilte Tiefe abgesunken ist wird gewoehnlich fuer eine halbe Stunde gefischt. Das Netz wird dann von zwei gewaltigen Winden wieder an die Oberflaeche gehievt und auf eine grosse Spule aufgewickelt. Ein Vorgang der von Geraeuschen begleitet wird, die einem kalte Schauer den Ruecken hinunter jagen. Die zentimeterdicken Stahltrosse beginnen zu sirren und knacken, und die schweren Ketten die fuer die vertikale Oeffung des Netzes im Wasser sorgen knallen auf die Rampe und rasseln ueber Deck.

Zuletzt kommt das Netzende, der Steert, an Deck. Das Netzende hat die kleinste Maschenweite und bestimmt somit welche Groesse von Tieren gefangen werden, wir verwenden einen Steert mit etwa 5mm Maschen. Der Steert wird aufgeknotet...

 
...und mit einem Kran wird das Netz in die gelben Bottiche geleert.

 
In der Regel fuellt der Fang ungefaehr einen halben Bottich. Dieser Bottich wird dann auf dem Sortiertisch in zwei eisgekuehlte Steigen umgefuellt und dann beginnt das Sortieren. Der Sortiertisch ist ungefaehr 1,50 auf 2 Meter gross und so koennen 4-5 Personen um ihn herum arbeiten. Auf der Steuerbordseite stehen meist Tom und ich. Wir sind fuer alle Wirbellosen zustaendig und suchen diese mit Hand oder Pinzette aus dem Gewirr an Tieren heraus.
 

Die Tiere werden dann grob nach Arten oder Gruppen sortiert. Sind alle Wirbellosen aussortiert werden die Gruppen gewogen und in nummerierten Gefaessen mit Formalin oder Alkohol konserviert.

Auf der Backbordseite steht das Fisch-Team, Vijay und Doris. Die suchen die Fische aus den Steigen und vermessen sie auf langen Messtafeln.
 
 
Jeder Fisch bekommt dann ein numeriertes Etikett und wird in einem Beutel eingefroren. So koennen wir nach der Expedition noch Proben fuer Genetik und andere molekulare Verfahren entnehmen. Laenge und Etikettnummern werden laut ausgerufen und von Kirsty registriert, die mit einem Computer am Kopfende steht.
 
An einem Seitentisch stehen dann noch Alex und Nathi und entnehmen Gewebeproben fuer genetische Untersuchungen. Gewogen werden direkt beim Sortieren nur ungewoehnlich grosse Fische, da die Waagen vom Sortiertisch schwer zu erreichen sind. Zudem fangen wir aufgrund der geringen Maschenweite ohnehin relativ selten Fische, die groesser als eine Handspanne sind.

Soweit der gewoehliche Ablauf. Auf Coral Seamount, unserem suedlichsten Berg kam dann aber alles etwas anders. Schon der erste Trawl enthielt deutlich mehr grosse Fische als sonst, unser gelber Bottich war uebervoll und nach einer ersten Grobsortierung lag ein ansehnlicher Stapel schwarzer Grenadiere auf dem Sortiertisch.


Grenadiere sind mittelgrosse Tiefseefische, die wegen ihres gestreckten Hinterleibes auch Rattenschwaenzen genannt werden. Unsere waren um die 40cm lang und ein knappes Pfund schwer.


Einige Arten werden kommerziell befischt und im Nordatlantik stehen ettliche Populationen vermutlich kurz vor dem Zusammenbruch. So genau weiss das keiner, da die Fischerei-Industrie der Wissenschaft weit vorraus ist. Sicher ist nur, dass die Grenadiere sehr langsam wachsen. Die von uns gefangenen Exemplare hatten vermutlich schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Kaum war dieser grosse Fang verarbeitet, kam das naechste Netz an Bord.
 
Diesmal entleerte sich der Steert nicht nur in unsere Bottiche, sondern bildete daneben einen mehr als knoecheltiefen Haufen auf dem Deck. Wir hatten offenbar ein Schule Grenadiere erwischt und erst nachdem wir die Fische auf fuenf Bottiche verteilt hatten, war das Deck wieder sauber. Entsprechend lange wurde gemessen und gewogen, und bei Sonnenaufgang stand fest, dass uns neben einigen Dutzend kleiner Fische 209 Grenadiere ins Netz gegangen waren, ueber 80kg dieser einen Art. Der kleinste gerade einmal 50g, der groesste stolze 1.2 kg und 67cm lang. Wirbellose waren dagegen kaum im Netz, das Gewicht der Grenadiere hatte vermutlich alle kleineren Organismen durch die Maschen gedrueckt.

Wieso die Grenadiere in so grosser Dichte, in relativ flachem Wasser unterwegs waren wissen wir noch nicht. So wir auf unserer weiteren Reise die Zeit finden, wollen wir aber die Mageninhalte und den Zustand ihrer Geschlechtsorgane ueberpruefen. Sie koennten Hinweise liefern, ob diese Fische z.B. zum Fressen oder zur Paarung an den Seamount kommen.

(Die Photos sind diesmal nicht von mir, sondern von Kirsty und Oddgeir Alvheim)